Waldemar Sauermann

Waldemar war der zweitälteste der Brüder. Er wurde 1933 geboren und die Bindung an seinen älteren Bruder war eng. Als dieser 1947 völlig überraschend verschwand, war er auf einmal der älteste Sohn der Familie. Und er musste der Mutter helfen nach dem Verlust des Vaters auch noch über den Verlust des ältesten Sohnes hinwegzukommen - und den eigenen Verlust bewältigen. Von den verbliebenen Brüdern war er es, der die Erinnerung an die Familie besonders bewahrte; der Fotos, Briefe und Dokumente sammelte; der sobald es möglich war, Noßwitz/Urstetten besuchte, denn im Gegensatz zu den jüngeren Brüdern war dies der Ort seiner Kindheit, sein Zuhause.

Waldermar mit seinem großen Bruder Erwin - vermutlich im Sommer 1934

Waldemar war ein großer Fußballer und glänzte in den 1950er als beinharter Verteidiger in verschiedenen Vereinen, in seinem Ursprungsverein der SpVgg Weiden und dann später auch beim 1. FC Bamberg oder beim VfL Neustadt. Unter heutigen Bedingungen hätte er wohl Bundesliga oder zumindest 2. Liga gespielt. Voller Stolz erzählte er von den großen Spielen mit zig Tausenden Zuschauern in der Südauswahl, wo er auch gegen Größen der damaligen Zeit aus anderen Auswahlen, wie Fritz Walter gespielt hat. Oft aber nur als Reservespieler, was zu damaliger Zeit ein überzogener Begriff war, denn in den 90 Minuten Spielzeit durfte noch nicht gewechselt werden.

Waldemar "Waldi" Sauermann (Rückennummer 2) als aktiver Fußballer in den 1950er Jahren

 

Der Sport-Kurier aus dem November 1957 mit Sauermanns Sonderauftrag und Werders Sieg gegen den HSV.

 

Zu damaliger Zeit ließ sich mit Fußballspielen noch nicht das große Geld verdienen. Aber das Wenige genügte und ermöglichte ihm etwas, was aufgrund der Lebensbedingungen der Familie sonst wohl nicht möglich gewesen wäre. Waldemar studierte und wurde Ingeneur. Er baute Straßenbrücken. Er gründete eine Familie. Kinder wurden geboren.

Der Moment, als ich ihn Anfang 2005 anrief, gehört zu den unglaublichen Momenten dieser Recherche. Er und sein jüngerer Bruder, von dem ich die Telefonnummer erhielt, hatten schon seit Jahren keinen Kontakt mehr. Und ich erreichte Waldemar am Tag seines Umzugs. Nur einen Tag später hätte ich ihn nicht mehr erreicht. Waldemar war krank. Tschechische Freunde organisierten seine Betreuung und sorgten dafür, dass er näher an die tschechische Grenze zog, damit sie sich täglich um ihn kümmern konnten.

Ich schickte Waldemar all die Unterlagen, die ich besaß. Die Rührung, die mir im nächsten Telefonat begegnete, war kaum zu fassen. Er lud mich und meine Familie zu seinem 72. Geburtstag im Mai ein. Ich nahm die Einladung gerne an.

Ich erinnere mich noch lebhaft an die Aufregung des Tages und den Weg nach Bayern. Als wir Waldemars Wohnung betraten, die von den tschechischen Freunden mit Geburtstagskuchentisch ausgestattet worden war, hielt meine Mutter den Atem an. In den Zügen Waldemars sah sie die Ähnlichkeit zu ihrem Mann, meinem Vater - nur in alt.
Waldemar war krank. Beide Beine waren ihm mittlerweile amputiert worden. Er sprach nicht immer deutlich. Doch den Tag verbrachten wir mit vielen Geschichte und dem Betrachten vieler Fotos. Und wir guckten Fußball. Seitdem empfinde ich Sympathien für den 1. FC Nürnberg. Denn das ist Waldemars Verein. Und zum Glück mochte er unseren Verein, den Verein seines Bruders, den SV Werder Bremen. Alles andere war dann leicht.

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob er wirklich alles, was wir erzählt haben, verstanden hat. Aber das ist auch unwichtig. Bis heute sehe ich den Ausdruck der Erleichterung in seinem Gesicht, nach 58 Jahren doch noch zu erfahren, was mit seinem großen Bruder passiert ist. Und immer wieder brachte er ein, wie sehr er sich wünschte, dass seine Mutter dies noch erlebt hätte.

Waldemar war noch stärker krank als wir dachten. Er starb im August 2005. Die Fotos von unserem Besuch, die ich ihm geschickt habe, hat er nicht mehr gesehen.